Gleichstellungsindikatoren und Gender Gaps: Wie können wir Gleichstellung messen?
von Lukas Zielinski
Was sind (Gleichstellungs-)Indikatoren?
„Ein Indikator ist […] ein ‚Anzeiger‘ und setzt in dieser Funktion zwei Dinge miteinander in Beziehung: Ein wahrnehmbares Element und ein nicht wahrnehmbares, durch das wahrgenommene Element aber abbildbares und damit mit diesem verknüpften Element“ (Meyer 2017: 17). Keine Sorge, falls Ihnen diese zugegebenermaßen abstrakte Definition noch nicht allzu sehr weiterhilft. Wir alle sind nämlich auch aus unserem Alltag mit dem Gebrauch von Indikatoren vertraut. Man denke z. B. an die Fahrt in einem Auto: Auf der Instrumententafel können wir auf Tachometer, Öltemperaturanzeige, Tankfüllstandsanzeige oder Motorkontrollleuchte auf einen Blick viele Informationen über den Zustand des Autos und die Fahrt erlangen, die wir direkt über unsere Sinne nur schwer oder gar nicht erlangen könnten. Die Indikatoren im Auto helfen uns dabei, Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten oder eine Überhitzung des Motors zu verhindern. Dadurch können wir das Auto schlussendlich sicher an unser Ziel steuern.
Nach dem gleichen Prinzip sollen Gleichstellungsindikatoren, wie z. B. der Gender Pay Gap oder der Gender Care Gap (geschlechtsspezifische Lohn- oder Sorgelücke), „Gleichstellung messbar machen“ (Wroblewski et al. 2017b). Gleichstellungsindikatoren sind Navigationssystem und Tachometer für die Gleichstellungspolitik. Sie zeigen an, in welche Richtung und wie schnell sich die Gesellschaft in Sachen Gleichstellung bewegt. Bereits in der Aktionsplattform von Peking 1995 wurde gefordert, Programme für geschlechtsspezifische Statistiken zu stärken und „geeignete Indikatoren […] zur Untermauerung der geschlechtsdifferenzierten Analyse“ zu entwickeln. Gleichstellungsindikatoren dienen dazu, Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Lebensbereichen abzubilden, die Bedarfe von Frauen und Männern zu erkennen, entsprechende Handlungsempfehlungen abzuleiten sowie zur Evaluierung von Maßnahmen, Programmen und Projekten (EIGE 2019: 4). Eingebettet in eine Gleichstellungsstrategie können sie für die Überwachung der Erreichung von Gleichstellungszielen genutzt werden. Das ist Teil evidenzbasierter Politikgestaltung. Aber auch im öffentlichen Diskurs haben Gleichstellungsindikatoren ihre Funktion: Sie können die oftmals emotional geführten Diskussionen rund um geschlechtsbezogene Diskriminierung und Ungleichheit versachlichen und von der oft vorgebrachten „Alltagsempirie“ abstrahieren.
Geschlechterverhältnisse spielen eine wichtige Rolle in vielen gesellschaftlichen Themenfeldern. Für jedes dieser Themenfelder gibt es entsprechende Gleichstellungsindikatoren, die die dortigen Lebensrealitäten von Menschen der unterschiedlichen Geschlechter abbilden, z. B. der Gender Pay Gap im Themenfeld „Geld“ oder die verschiedenen Geschlechteranteile in Parlamenten im Themenfeld „Macht“. Sie finden eine große Auswahl bekannter Gleichstellungsindikatoren zum Beispiel im Gleichstellungsatlas, im WSI Genderdatenportal, im OECD Gender Dashboard oder im Gender Equality Index (Gleichstellungsindex) des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE). Darüber hinaus können Gleichstellungsindikatoren auch für Organisationen, Prozesse oder Systeme gebildet werden – so entwickelten beispielsweise Verena Tobsch und Tanja Schmidt in ihrer von der Bundesstiftung Gleichstellung beauftragten Kurzstudie Indikatoren für die gleichstellungsorientierte Analyse von Rekrutierungsprozessen in Privatunternehmen.
Was macht einen guten Gleichstellungsindikator aus?
Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE 2019: 14–15) hat in einer Handreichung Kriterien für die Qualität von Gleichstellungsstatistiken und -indikatoren aufgezählt. Folgende Eigenschaften machen demnach einen guten (Gleichstellungs-)Indikator aus: Er sollte spezifisch, valide, zuverlässig, vergleichbar, ungerichtet, präzise, praktikabel, relevant und nachprüfbar sein und dabei möglichst wiederholt dieselben Beobachter*innen oder Befragten einbeziehen.[1] Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass ein Indikator erstens realistisch umsetzbar sein muss, also z. B. auf verfügbaren, regelmäßig aktualisierten und genauen Daten beruhen sollte, zweitens wirklich das und nur das abbilden sollte, was er angibt zu messen, und drittens, dass er auch den praktischen Zweck, für den er eingesetzt wird, erfüllen sollte.
Dabei ist wichtig, die möglichst objektive Messung von Gleichstellungsindikatoren nicht mit Neutralität in der praktischen Verwendung zu verwechseln, denn als Instrument der Gleichstellungspolitik werden sie in der Praxis von „AkteurInnen mit den unterschiedlichsten Interessen genutzt (und möglicherweise auch missbraucht), um politische Ziele zu erreichen“ (Wroblewski et al. 2017a: 3–4). Um diese politische Dimension bewerten zu können, ist es erforderlich, dass die gleichstellungstheoretischen Grundannahmen und politischen Zielvorstellungen, die einem Indikator zugrunde liegen, transparent gemacht werden. Schon die Auswahl eines oder mehrerer Indikatoren ist kein neutraler Prozess, sondern kann bereits einzelne Phänomene in den Fokus rücken, Maßstäbe setzen oder ganze Themenfelder ausblenden. Es kann daher nicht ausreichen, mehr oder weniger zufällig ausgewählte Statistiken nach Geschlecht differenziert auszuweisen. Bei diesem sog. Sex Counting bleibt unklar, welches Verständnis von Gleichstellung den Statistiken zugrunde liegt und wann diese als erreicht gilt.[2]
Von Daten zu Indikatoren
Indikatoren beruhen auf Daten. Daten sind – im Vergleich zu Statistiken und Indikatoren –unverarbeitete, „rohe“, Zahlen und Fakten. Sie können z. B. durch Umfragen oder als Nebenprodukt von Verwaltungsvorgängen entstehen. Nicht alle, gar die wenigsten, Daten werden erhoben, um Gleichstellungsindikatoren zu bilden. Dies führt zu einem Problem: Ob Daten sich für die Bildung von Gleichstellungsindikatoren eignen, hängt maßgeblich davon ab, ob die Daten nach Geschlecht differenziert erhoben wurden. Dies ist aber häufig nicht der Fall. Beispielsweise konnte die Autorin Caroline Criado-Perez (2020) in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ zeigen, dass in vielen Wissenschaftsbereichen von vornherein davon ausgegangen wird, dass Geschlecht für den jeweiligen Forschungsgegenstand irrelevant sei. Daher werde darauf verzichtet, Geschlecht als Kategorie in die Datenerhebungen aufzunehmen. Stattdessen fungiere das Männliche als implizite Norm, die für alle gelte. Dies führt aber zu einem Teufelskreis: Die vorhandenen Daten erlauben keine nach Geschlecht differenzierten Analysen, sodass Unterschiede zwischen den Geschlechtern seltener aufgedeckt werden, was wiederum keinen Anlass schafft, Geschlecht in zukünftigen Datenerhebungen zu berücksichtigen. Für dieses Phänomen nutzt die Autorin den Begriff des „Gender Data Gaps“ (Criado-Perez 2020: 11). Darüber hinaus weist Irene Pimminger (2024: 56 f.) darauf hin, dass das bloße Vorhandensein geschlechtsdifferenzierter Daten nicht ausreicht, denn das Problem habe sich zunehmend „zur Frage der Zugänglichkeit der Daten verschoben“. Benötigte Daten seien zwar vorhanden, werden aber nicht regelmäßig oder differenziert genug veröffentlicht, um daraus aussagekräftige Indikatoren zu bilden. Die Frage nach der Existenz und Zugänglichkeit von benötigten Daten bleibt weiterhin eine der größten Herausforderungen bei der (Weiter-)Entwicklung von Gleichstellungsindikatoren.
Wenn die benötigten Daten geschlechtsdifferenziert vorliegen, beruhen sie häufig auf der „klassischen dichotomen Zweigeschlechtlichkeit“, d. h. auf Unterscheidung nur zwischen Frauen und Männern (Wroblewski et al. 2017a: 5). Spätestens seit der Einführung des Geschlechtseintrags „divers“ im Jahr 2018 wird darüber nachgedacht, wie sich Geschlechtervielfalt auch in Statistiken und Indikatoren abbilden lässt (Pimminger 2024: 56). Die spezifischen Lebenslagen von nicht-binären, inter* und trans* Menschen werden in zweigeschlechtlichen Gleichstellungsindikatoren nicht ausreichend abgebildet. Der Mangel an entsprechenden Indikatoren liegt einerseits in fehlenden Datengrundlagen begründet: Häufig wird die Kategorie Geschlecht nicht ausreichend differenziert erhoben, z. B. wenn nur die Einträge „männlich“ und „weiblich“ in einer Umfrage ausgewählt werden können, oder in den Stichproben sind schlicht zu wenig nicht-binäre, inter* oder trans* Personen enthalten, um über sie gesicherte Aussagen treffen zu können. Selbst wenn die Daten vorlägen, bedürfte es aber, so Irene Pimminger (2024: 62–63) in einer von der Bundesstiftung Gleichstellung beauftragten Studie, darüber hinaus einer von den spezifischen Bedürfnissen der Geschlechtervielfaltspolitik ausgehenden „politik- oder konzeptgeleitete[n] Indikatorenentwicklung“ und einer Operationalisierung von Geschlecht, die „dem jeweiligen Erkenntnisinteresse und dem Erhebungskontext angemessen“ ist. Während das „wie“ in der Wissenschaft also noch umstritten ist, lässt sich dennoch festhalten, dass die bessere Abbildung von geschlechtlicher Vielfalt in Statistiken und Indikatoren eine wichtige Aufgabe für Gleichstellungsakteur*innen ist.
Aus der Differenzierung nur zwischen Frauen und Männern ergibt sich zudem das Risiko, dass so ein Geschlechterverständnis reproduziert wird, in dem sich Frauen und Männer als zwei homogene Gruppen gegenüberstehen. Allgemeine „Gender Gaps“, wie z. B. der Gender Pay Gap, welcher die Lücke zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Frauen und Männern beschreibt, sind als aggregierte Statistiken zwar nützlich, um strukturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern sichtbar zu machen. Andererseits können sie aber auch dazu führen, dass teils weitaus problematischere geschlechtsspezifische Ungleichheiten zwischen oder innerhalb verschiedener Regionen, Alters- oder anderer Gruppen „verschleiert“ werden und im allgemeinen Mittelwert untergehen. Daher ist es in vielen Fällen notwendig, weitere Merkmale in die Bildung von Gleichstellungsindikatoren einzubeziehen, z. B. Elternschaft, Familienstand oder Ethnizität (ebd.: 57). Während z. B. der allgemeine Gender Care Gap bei 43,4 Prozent liegt, liegt er unter Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden bei fast 60 Prozent (Destatis 2025). Es braucht daher eine intersektionale Perspektive auf Gleichstellungsindikatoren, die das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsmerkmale auf die Lebensrealität von Menschen berücksichtigt.
In den folgenden Steckbriefen zeigen die Wissenschaftler*innen Dr. Andreas Weiland und Clara Overweg anhand von fünf Gleichstellungsindikatoren, warum es sinnvoll ist, genauer hinzuschauen und Gleichstellungsindikatoren weiter auszudifferenzieren. Dafür stellen sie fünf der bekanntesten „Gender Gaps“ vor und zeigen jeweils anhand eines beispielhaft ausgewählten Merkmals, dass Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern durch andere Diskriminierungsmerkmale oder Lebensbedingungen noch verschärft werden können. Eine solche Annäherung an eine intersektionale Betrachtung von Gleichstellungsindikatoren bietet große Chancen für die Gleichstellungspolitik: So können besonders benachteiligte Gruppen identifiziert und Maßnahmen zielgerichteter ausgestaltet werden.
Stand: Juli 2025
Über den Autor
Lukas Zielinski hat Public Policy an der Hertie School Berlin studiert. Seit 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Wissen, Beratung und Innovation der Bundesstiftung Gleichstellung. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf Gleichstellungsindikatoren und -statistiken sowie auf geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt.
Criado-Perez, Caroline (2020): Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert, 1. Auflage. 71887, München: btb.
Destatis – Statistisches Bundesamt (Hg.) (2023): Geschlechterverteilung unter sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pflege und insgesamt in Deutschland im Jahr 2021, zuletzt aktualisiert am 03.04.2023 (Abruf: 21.04.2023).
Destatis – Statistisches Bundesamt (2025): Durchschnittliche Zeitverwendung für Erwerbs- und unbezahlte Arbeit von Vätern und Müttern ab 18 Jahren in Haushalten von Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden (Abruf: 24.06.2025).
EIGE – European Institute for Gender Equality (2019): Gender statistics and indicators (Abruf: 17.06.2025).
Meyer, Wolfgang (2017): Einführung in die Grundlagen der Entwicklung von Indikatoren. In: Wroblewski, Angela/Reith, Florian/Kelle, Udo (Hg.): Gleichstellung messbar machen. Grundlagen und Anwendungen von Gender- und Gleichstellungsindikatoren. SpringerLink Bücher. Springer VS: Springer VS, S. 15–38.
Pimminger, Irene (2024): Geschlechtervielfalt in der Gleichstellungspolitik. Begriffe, Instrumente, Daten. Unter Mitarbeit von Silke Steinhilber. Gleichstellungswissen 2 B, Berlin: Bundesstiftung Gleichstellung (Abruf: 13.11.2024).
Pimminger, Irene/Wroblewski, Angela (2017): Von geschlechtsdifferenzierten Daten zu Gender- und Gleichstellungsindikatoren. In: Wroblewski, Angela/Reith, Florian/Kelle, Udo (Hg.): Gleichstellung messbar machen. Grundlagen und Anwendungen von Gender- und Gleichstellungsindikatoren. SpringerLink Bücher. Springer VS: Springer VS, S. 61–80.
Wroblewski, Angela/Kelle, Udo/Reith, Florian (2017a): Einleitung: Gleichstellung messbar machen. In: Wroblewski, Angela/Reith, Florian/Kelle, Udo (Hg.): Gleichstellung messbar machen. Grundlagen und Anwendungen von Gender- und Gleichstellungsindikatoren. SpringerLink Bücher. Springer VS: Springer VS, S. 1–14.
Wroblewski, Angela/Reith, Florian/Kelle, Udo (Hg.) (2017b): Gleichstellung messbar machen. Grundlagen und Anwendungen von Gender- und Gleichstellungsindikatoren. SpringerLink Bücher, Springer VS: Springer VS.
[1] Für eine Definition dieser Eigenschaften siehe EIGE (2019: 14–15).
[2] Pimminger und Wroblewski (2017) merken z. B. an, dass der Ausweisung von Frauenanteilen in verschiedenen Bereichen oft ein „Verständnis von Gleichstellung als statistische Parität […], […] also implizit eine Geschlechterquote von jeweils 50 % [zugrunde liegt]“. Dies kann aber irreführend sein, z. B. wenn die relevante Bezugsgruppe kein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aufweist. In der Pflege beispielsweise arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer (Destatis 2023). Ein Frauenanteil von 50 % unter den Führungskräften in der Pflege würde aus gleichstellungspolitischer Sicht also trotzdem einen Missstand darstellen.