2. Gleichstellungs-Lecture 2025: Geschlechter- und Gleichstellungsforschung im Fokus – Potenziale und Strategien in Zeiten antifeministischer Angriffe

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Unter dem Titel „Geschlechter- und Gleichstellungsforschung im Fokus – Potenziale und Strategien in Zeiten antifeministischer Angriffe“ fand am 7. Oktober 2025 in der Bundesstiftung Gleichstellung die zweite Gleichstellungs-Lecture des Jahres statt. Im Offenen Haus der Gleichstellung kamen Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Verbänden zusammen, um sich – erstmalig im Rahmen des Formats auch über Ländergrenzen hinweg – auszutauschen und zu vernetzen.

Die Veranstaltung ging von der Beobachtung aus, dass Antifeminismus in der Gesellschaft zunehmend Verbreitung findet. Dieser umfasst Einstellungen und Verhaltensweisen, die eine ungleiche und binäre Geschlechterordnung anstreben bzw. erhalten wollen. Damit einher gehen Angriffe auf Frauen- und LGBTIQ*-Rechte, Gleichstellungsmaßnahmen und maßgeblich auch auf die Geschlechterforschung. Zentrale Fragen für die Veranstaltung waren daher: Warum braucht es gerade jetzt die intersektionale Gleichstellungs- und Geschlechterforschung in Deutschland? Wie kann sie sich gegen eine antifeministische und vielfaltsfeindliche Einflussnahme absichern? Was können wir im bundesdeutschen Kontext durch Erfahrungen aus anderen Staaten lernen?

Lisi Maier, Co-Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung, und Lukas Zielinski, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Wissen, Beratung, Innovation, verwiesen in ihrer Begrüßung auf die Bedrohung durch antifeministische Angriffe und machten zugleich auf die demokratiefördernden Potenziale der Geschlechter- und Gleichstellungsforschung aufmerksam. Lisi Maier führte aus, dass die transnationale Anti-Gender-Bewegung in Europa sowohl finanziell wie auch ideologisch an Bedeutung gewinne. Sie weise inzwischen neben steigenden Ausgaben einen hohen Grad an transnationaler Koordination und Organisation auf. Die Bundesstiftung Gleichstellung habe dies als wichtiges Thema erkannt, weshalb sie sich in ihrem Fokusthema „Demokratie und Geschlechterbilder“ kontinuierlich mit Strategien des Antifeminismus als Demokratiegefährdung auseinandersetzen werde. Auch werde der im Arbeitsprogramm der Bundesstiftung vorgesehene Fachbeirat zum Thema Demokratiestärkung & Antifeminismus zeitnah eingerichtet.

Lukas Zielinski betonte im Anschluss die zentrale Rolle der Geschlechter- und Gleichstellungsforschung für die Arbeit der Bundesstiftung Gleichstellung und für die Gleichstellungspraxis im Allgemeinen. Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik sei notwendig, um die Geschlechtergleichstellung in Deutschland voranzubringen. Es sei daher besorgniserregend, dass die Angriffe auf die Geschlechter- und Gleichstellungsforschung, aber auch auf verwandte kritische Wissenschaften wie u. a. die Postkolonialen Studien oder die Queer Studies, zunehmen würden. Er verwies zudem auf die großen Potenziale dieser Wissenschaften: Sie könnten Erklärungen und Gegenstrategien für den drohenden antifeministischen und antidemokratischen Backlash liefern und so dazu beitragen, eine gerechtere, pluralistische und demokratische Gesellschaft zu stärken. Wie diese Potenziale realisiert werden können und was wir in Deutschland dabei aus anderen Ländern lernen können, sei die zentrale Fragestellung für die Gleichstellungs-Lecture 2 / 2025.

Dr. habil. Elżbieta Korolczuk, Soziologin am Zentrum für Amerikanistik der Universität Warschau und der Södertörn Universität Stockholm, lieferte in ihrem Vortrag „Anti-gender interventions in knowledge production. How do they affect democracy?“ sowohl einen umfassenden Überblick über die globale Anti-Gender-Bewegung und ihre Eingriffe in die Wissensproduktion als auch über deren Auswirkungen auf die Demokratie. Ausgehend von den Ergebnissen des von der EU geförderten Forschungsprojekts „Co-Creating Inclusive Intersectional Democratic Spaces Across Europe“ (CCINLDE) nahm sie eine ländervergleichende Perspektive auf die Anti-Gender-Bewegung ein. Die Bewegung bestehe in den untersuchten Ländern, u. a. Schweden, Italien und Großbritannien, aus jeweils unterschiedlichen Konstellationen von religiösen, zivilgesellschaftlichen, rechten und rechtspopulistischen Akteur*innen sowie sog. gender-kritischen Feminist*innen. Anti-Gender-Akteur*innen seien an vielen Stellen Bündnisse mit Rechtspopulist*innen eingegangen, was für beide vorteilhaft gewesen sei: Die Anti-Gender-Bewegung gewann an Einfluss, während rechtspopulistische Akteur*innen das Thema „Gender“ für sich nutzen konnten, um die gesellschaftliche Polarisierung voranzutreiben. Die inzwischen finanzstarke und gut organisierte Anti-Gender-Bewegung strebe nicht nur nach politischer, sondern auch nach Macht über Wissen (epistemischer Macht). Daher greife sie auch in die Wissensproduktion ein. Diese Eingriffe ließen sich, so Elżbieta Korolczuk, in repressive und produktive Eingriffe unterteilen: Repressive Eingriffe bestünden z. B. aus dem Delegitimieren zentraler feministischer Konzepte, aus Versuchen, Fördermittel zu kürzen und dem Ausschluss bestimmter Akteur*innen aus dem öffentlichen Diskurs. Produktive Eingriffe, anderseits, zielten darauf ab, aktiv Forschungsarbeiten, -institutionen und -eliten zu fördern, die antifeministische „Wissenschaft“ betreiben. Zum Ende ihres Vortrags zeigte Elżbieta Korolczuk auf, dass diese Eingriffe Teil eines größeren antidemokratischen Projekts seien. Sie würden die Wissenschaftsfreiheit begrenzen, zur Polarisierung beitragen und „epistemisches Chaos“ stiften. All dies führe dazu, dass es zu Misstrauen in den Wissens- und Wertesystemen komme. Das sei schädlich für die Demokratie.

Den zweiten Teil der Veranstaltung begann Prof. Dr. Nikita Dhawan, Inhaberin der Professur für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden, mit einem Kurzinput, betitelt „Resisting the Backlash: Defending Intersectional, Decolonial, and Postcolonial Feminisms“. Sie griff darin auf, was Elżbieta Korolczuk „epistemisches Chaos“ nannte und erweiterte es um den Begriff des „normativen Nihilismus“. Konzepte wie „Demokratie“, „Liberalismus“ und „Menschenrechte“ würden vermehrt auf Misstrauen stoßen, und zwar von rechten wie linken Kräften. Dies sei gefährlich. Gleichzeitig hob sie die Bedeutung von intersektionalen Bündnissen und Kommunikation für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hervor. Man müsse Strategien entwickeln, wie die Kommunikation mit Menschen, die antifeministische Ansichten haben, nicht abbreche.

Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einer von Sarah Molter, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Wissen, Beratung, Innovation, moderierten Paneldiskussion mit Elżbieta Korolczuk, Nikita Dhawan und Franziska Rauchut, Co-Leitung des Bereichs Wissen, Beratung, Innovation der Bundesstiftung Gleichstellung. Im Zentrum der Diskussion standen einerseits die Bedeutung der Geschlechter- und Gleichstellungsforschung für die Demokratie und anderseits die Frage, was getan werden müsse, um die Geschlechter- und Gleichstellungsforschung zu stärken.

Franziska Rauchut hob dabei die Bedeutung von kritischen Wissenschaften für die Demokratie hervor. Wissenschaften wie die Gender- und Queer-, aber auch Postcolonial- und Disability Studies beschäftigten sich mit der Bekämpfung sozialer Ungleichheit und Diskriminierung, der Nivellierung ungleicher Machtverhältnisse und dem Schutz von Minderheiten. Sie könnten so zu einer offeneren Perspektive auf die Gesellschaft beitragen. Ihre Diskreditierung diene einer autoritären Kontrolle von Wissen.  Angesprochen auf die aktuelle Situation in Deutschland erklärte sie, dass antifeministische Angriffe insbesondere mit dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte zunähmen. Gründe dafür sieht sie unter anderem darin, dass Gleichstellungsmaßnahmen und Vielfalt sichtbarer geworden sind – eine positive Entwicklung, die aber nun auch Abwehr hervorruft. Antidemokratische und antifeministische Diskurse spielten zudem gezielt mit der Angst der Menschen im Kontext multipler Krisen.

Elżbieta Korolczuk ging auf die Situation in Polen ein. Das 2016 erlassene vollständige Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen habe eine Welle feministischer Mobilisierung losgetreten. Diese habe weitere Proteste zur Verteidigung der Demokratie ausgelöst. Leider käme es aber inzwischen zu einer Desillusionierung innerhalb der sozialen Bewegungen, denn bisher konnten auf demokratischem Weg wenig Verbesserungen erreicht werden. Darin sieht sie eine große Gefahr. Hoffnungslos sei sie jedoch nicht, denn unter anderem würden Meinungsumfragen zeigen, dass viele Menschen mit antifeministischen Ansichten darin nicht vollständig gefestigt seien. Man müsse auf die Lebensrealitäten der Menschen eingehen und sich bemühen, sie zu erreichen. Auch Nikita Dhawan betonte, es sei wichtig, Mitmenschen davon zu überzeugen, dass Antifeminismus am Ende uns allen schade und dabei auch die emotionale Ebene nicht zu vernachlässigen. Angesprochen auf die Frage, wie die Geschlechterforschung in diesen schwierigen Zeiten gestärkt werden könne, plädierte sie unter anderem dafür, aus den Erfahrungen postkolonialer feministischer Bewegungen im Globalen Süden zu lernen. Sie hätten vielerorts bewiesen, dass sie mit Kreativität und Mut, Neues auszuprobieren, Herausforderungen überwinden können. Auf Nachfragen aus dem Publikum hin wurden zudem weitere Themen, wie Desinformation, Geschichtsbewusstsein, Vernetzung und eine Forschungsförderung für kritische Wissensansätze, diskutiert.

Das Team der Bundesstiftung Gleichstellung dankt den Referent*innen und allen Teilnehmenden.

Eindrücke der Veranstaltung