Am 12. Mai 2025 fand unter dem Titel „Care-Arbeit umverteilen – aber an wen?! Digitale Arbeitsplattformen für haushaltsnahe Dienstleistungen und das Outsourcing von Care-Arbeit“ die erste Gleichstellungs-Lecture 2025 statt. Mit dem Veranstaltungsformat fördert die Bundesstiftung Gleichstellung den Wissensaustausch und die Vernetzung zwischen Gleichstellungsforschung, -politik und -praxis.
Mit Teilnehmenden aus Wissenschaft, Politik und Verbänden wurden die gleichstellungspolitischen Chancen und Risiken haushaltsnaher Dienstleistungen diskutiert. Dabei standen – am Tag der Pflegenden – plattformvermittelte Betreuung und Pflegehilfe sowie die Rechte von migrierten Care-Arbeiter*innen im Zentrum. Moderiert wurde die Veranstaltung von Lukas Zielinski und Sarah Molter, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen des Bereichs Wissen, Beratung, Innovation der Bundesstiftung Gleichstellung.
Lisi Maier, Direktorin der Bundesstiftung Gleichstellung, verwies in ihrer Begrüßung auf den bundesdeutschen Gender Care Gap. Eine gerechte Verteilung von Care-Arbeit sei Grundvoraussetzung für Geschlechtergleichstellung und daher auch ein zentrales Thema innerhalb der Fokusthemen der Bundesstiftung Gleichstellung. Die Auslagerung von Care-Arbeit durch haushaltsnahe Dienstleistungen könne sich positiv auf die Gleichstellung auswirken. Nötig seien jedoch politische Maßnahmen zur Förderung haushaltsnaher Dienste, beispielsweise ein Gutscheinmodell wie es bereits der zweite Gleichstellungsbericht und der 10. Familienbericht vorgeschlagen haben. So könnten nicht nur die Erschwinglichkeit der Dienstleistungen, sondern auch gute Arbeitsbedingungen und formelle Beschäftigungsverhältnisse im Sektor gefördert werden.
Die Moderator*innen ergänzten einige Zahlen zum Sektor haushaltsnaher Dienste und verwiesen darauf, dass der Anteil formeller Beschäftigung bei nur 10 % läge, der Anteil an Frauen im gesamten Sektor dagegen bei 90 %, viele davon seien Migrantinnen.
Franziska Baum, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juniorprofessur Soziologie mit Schwerpunkt Technik an der Technischen Universität Chemnitz, ging in ihrem Vortrag zunächst auf die dramatische Situation im Bereich der Pflege und Betreuung in Deutschland ein, sichtbar insbesondere an der Unterfinanzierung der Pflegeversicherung und dem Fachkräftemangel. Sie stellte anschließend ihre Forschung zu Care-Plattformen für Alltagsunterstützung und Altenhilfe und darüber arbeitende Personen vor. Care-Plattformen versprächen technische Lösungen für Sorgelücken. Mit Blick auf die Care-Arbeiter*innen der untersuchten Plattformen unterschied Franziska Baum zwischen fünf Clustern, die in Demografie, Qualifikation und Motivation, Stundensatz und Verfügbarkeit variierten. Vielen der auf den Plattformen aktiven Care-Arbeiter*innen, zu 70 % seien es Frauen, sei jedoch gemein, dass sie qualifiziert und erfahren im Bereich der Care-Arbeit seien. Gründe der Interviewpartner*innen für das, was Franziska Baum in ihrer Dissertation „Sorge-Selbstständigkeit“ nennt, waren: Sie verdienten über Plattformen (brutto) mehr und sie könnten ihre Ansprüche an gute Pflege eher umsetzen als in der regulären Pflege. Franziska Baum macht deutlich, dass Geschlechteraspekte hier eine große Rolle spielten: Viele Frauen hätten zuvor umfangreich unbezahlte Sorgearbeit geleistet und entsprechend kaum Rentenansprüche gesammelt. Eine Interviewpartnerin sprach von einem „typischen Frauenwerdegang“. Selbstständigkeit und die damit einhergehende eigenverantwortliche soziale Absicherung sei für sie entsprechend weniger abschreckend. Franziska Baum machte deutlich, dass die Anmeldung auf Care–Plattformen für Alltagsunterstützung und Altenhilfe voraussetzungsvoll sei. Hohe administrative und sprachliche Voraussetzungen seien ein Grund dafür, dass relativ wenige Arbeiter*innen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, auf diesen Plattformen aktiv seien. Nur etwa 20 % der Personen im Sample waren Migrant*innen, diese leben dem Anschein nach schon lange in Deutschland.
Was müsste geschehen, um mehr Sichtbarkeit, Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen für Care-Arbeiter*innen und insbesondere migrierten Care-Arbeiter*innen, zu garantieren? Diese Frage diskutierten im Nachgang Justyna Oblacewicz, Regionalleitung Südwest und ehemals Branchenkoordinatorin für häusliche Betreuung bei dem Beratungsnetzwerk Faire Mobilität des DGB und Franziska Rauchut, Co-Leitung des Bereichs Wissen, Beratung, Innovation der Bundesstiftung Gleichstellung, zusammen mit Franziska Baum.
Justyna Oblacewicz berichtete dabei aus ihrer Arbeit mit Beschäftigten aus mittel- und osteuropäischen Staaten. Bei den zu ihr kommenden Personen spielten digitale Plattformen keine Rolle, jedoch seien es hier meist Agenturen, die die Care-Arbeiter*innen vermittelten und mit ihnen Verträge abschlossen. Ähnlich wie Plattformen zögen sich die Agenturen bei Problemen häufig aus der Verantwortung zurück. Die Arbeitsrealität im jeweiligen Haushalt entspräche häufig nicht den in den Verträgen festgelegten Bedingungen, beispielsweise, was die Arbeitszeit oder den Unterstützungsbedarf der Person angehe. Häufig seien Personen solo-selbstständig beschäftigt und nicht ausreichend abgesichert. Die Belastung der Care-Arbeiter*innen sei hoch, es würde häufig von einer Verfügbarkeit rund um die Uhr ausgegangen, es gäbe keine Tarifverträge und kaum gewerkschaftliche Organisation. Justyna Oblacewicz sah Arbeitsmigration im Care-Bereich nicht als durchweg negativ, denn die Arbeit könne für Personen durchaus Statusgewinne bringen – jedoch müssten die Arbeitsbedingungen für die Personen fair sein und eingehalten werden. Eine Formalisierung des Sektors sah sie als unbedingt nötig, um arbeitsrechtliche Standards durchsetzen zu können. Staatliche Gutscheine könnten zum Beispiel an die Bedingung geknüpft sein, dass Agenturen Arbeitsrechte einhalten.
Franziska Rauchut ging in der Diskussion besonders auf die gleichstellungspolitischen Chancen und Risiken haushaltsnaher Dienstleistungen ein. Sie führte aus, dass weiblich konnotierte Sorgearbeit symbolisch wie materiell im Vergleich zu männlich konnotierter Erwerbsarbeit gesellschaftlich abgewertet werde. Sorgearbeit werde zum Großteil von Frauen übernommen, sodass diese häufig Schwierigkeiten hätten, einer existenzsichernden Beschäftigung nachzugehen und unter großer Belastung stünden. Es brauche daher gute politische Rahmenbedingungen für eine geschlechterunabhängige Verteilung von Sorgearbeit. Aktuell stünden angesichts der Care-Krise besonders Haushalte mit älteren pflegebedürftigen Personen, Allein- und Getrennterziehende, Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung sowie Familien und Mütter mit kleinen Kindern unter Druck. Haushaltsnahe Dienstleistungen nutzten aktuell jedoch vor allem Haushalte mit einem höheren Einkommen – nicht zwangsweise jene mit dem höchsten Bedarf. Es brauche politische Maßnahmen, zum Beispiel ein gerechtes Gutscheinmodell, damit Haushalte mit einem geringeren Einkommen und besonders belastete Haushalte Dienstleistungen nutzen können. Gegebenenfalls biete das „Familienbudget für Alltagshelfer“ aus dem aktuellen Koalitionsvertrag hier eine Perspektive – das bleibe abzuwarten.
Zum Schluss kamen die Referentinnen in einer Fishbowl-Diskussion mit den Teilnehmenden ins Gespräch. Große Einigkeit herrschte darüber, dass Care-Arbeit mehr Anerkennung erfahren müsse und die Arbeitsbedingungen in der Pflege und den haushaltsnahen Dienstleistungen verbessert werden müssen. Darüber hinaus lag ein Fokus auf der Situation von migrierten Care-Arbeiter*innen. Franziska Rauchut mahnte, dass es auch Änderungen am Aufenthaltsrecht und mehr Beratung bedürfe, um die Arbeitsaufnahme für migrierte Personen zu erleichtern und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Justyna Oblacewicz gab Einblicke, dass sich die Migration von Care-Arbeiter*innen auch auf deren eigene Care-Arrangements auswirke und häufig Familienangehörige im Heimatland ersatzweise Sorgeverantwortung übernähmen. Gefragt nach politischen Forderungen gab Franziska Baum den Wunsch vieler Care-Arbeiter*innen nach einfacheren Abrechnungssystemen der Kassen wieder, beklagte aber auch den Mangel einer grundsätzlicheren Debatte über die Verteilung von Sorgearbeit. Zum Abschluss betonte Justyna Oblacewicz die Notwendigkeit einer Pflegereform zur besseren Finanzierung von Pflege und einer größeren Vielfalt an Unterstützungsangeboten. Franziska Rauchut forderte eine umfassende politische, systemische und materielle Aufwertung von Care-Arbeit und eine aktive Zeitpolitik zur besseren Vereinbarkeit. Dabei sollten die Bedarfe vulnerabler Gruppen stärker berücksichtigt werden.
Das Team der Bundesstiftung Gleichstellung dankt den Referent*innen und allen Teilnehmenden.