von Dr. Jana Hertwig und Dr. Regina Frey
Institutionelle Mechanismen der Gleichstellungspolitik
Was sind „Institutionelle Mechanismen“ der Gleichstellungspolitik?
Die vierte und bisher letzte Weltfrauenkonferenz fand 1995 in Peking statt. 189 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen veröffentlichten zum Abschluss der Konferenz eine „Erklärung“ und eine „Aktionsplattform“. Diese Dokumente sind das bislang umfassendste Konzept zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung von Frauen und Mädchen weltweit.
In Abschnitt H formuliert die Aktionsplattform die Notwendigkeit der Schaffung von „Institutionellen Mechanismen zur Förderung der Frau“. Dabei geht es um Institutionen, die für die Förderung der Gleichstellung zuständig sind. Darüber hinaus soll eine „geschlechtsbezogene Perspektive“ in Rechtsvorschriften und öffentliche Politiken, Programme und Projekte einbezogen werden.
Von Anfang an haben sich die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet, die drei strategischen Ziele der Aktionsplattform zu erreichen:
- Ziel 1: Nationale Einrichtungen und andere staatliche Organe sollen geschaffen bzw. gestärkt werden.
- Ziel 2: Eine geschlechtsbezogene Perspektive soll in die Rechtsvorschriften sowie in öffentliche Politiken, Programme und Projekte einbezogen werden.
- Ziel 3: Daten und Informationen für Planungs- und Bewertungszwecke sollen nach Geschlecht erstellt und veröffentlicht werden.
Der Rat der EU hat bereits 2006 betont, dass institutionelle Mechanismen für die Geschlechtergleichstellung „seit jeher als zentrale Einheit(en) zur Koordinierung politischer Maßnahmen innerhalb einer nationalen, föderalen, regionalen oder lokalen öffentlichen Verwaltung“ gelten (zitiert nach EIGE o.J.).
Im Verlauf nachfolgender Überprüfungsprozesse 2006 und 2013 nahm der Rat der EU mehrere Indikatoren für den Bereich H der Aktionsplattform zur Überwachung der Umsetzung der strategischen Ziele an. Die Indikatoren beschreiben im Detail, was Regierungen, aber auch einzelstaatliche Einrichtungen tun sollten, um Gleichstellung systematisch zu berücksichtigen.
Die Indikatoren sind laut dem Europäischen Gleichstellungsinstitut (European Institute for Gender Equality – EIGE) „einer der Kernbereiche“ der Aktionsplattform (EIGE o.J.). Das EIGE hat bereits mehrere Studien zum Umsetzungsstand der institutionellen Mechanismen in den Mitgliedstaaten der EU veröffentlicht (EIGE 2014a; EIGE 2020). Die nächste Auswertung wird für 2025 erwartet.
Zu den Indikatoren im Einzelnen:
Indikator 1: Status der staatlichen Zuständigkeit für die Förderung der Gleichstellung von Frau und Mann
Indikator 1 steht in engem Zusammenhang mit dem ersten strategischen Ziel von Bereich H – der Schaffung oder Stärkung nationaler Einrichtungen und anderer staatlicher Organe (EIGE 2014b: 12). Regierungen sollten wie folgt vorgehen:
- Die Verantwortung für die Förderung der Gleichstellungspolitik sollte auf höchstmöglicher Regierungsebene (z.B. Minister*in) liegen.
- Einzelstaatliche Einrichtungen zur Förderung der Gleichstellung sollten gestärkt werden sowie ein klar definiertes Mandat und ausreichende Ressourcen haben.
- Personal sollte in der geschlechtsdifferenzierten Planung und Analyse von Daten ausgebildet werden.
- Einzelstaatliche Organisationen sollten befähigt werden, in einem frühen Stadium Informationen über politische Themen in allen Bereichen zu sammeln.
- Regierungen sollten den Gesetzgebungsorganen regelmäßig über die Fortschritte der durchgeführten Maßnahmen Bericht erstatten.
- Die aktive Einbeziehung von Institutionen in die Bemühungen um die Gleichstellung von Frauen und Männern sollte gefördert werden.
Indikator 2a: Personelle Ressourcen der staatlichen Gleichstellungsstelle
Ressourcen sind ein zentraler Faktor dafür, wie hoch das Engagement einer Regierung für die Förderung der Gleichstellung ist. Indikator 2a bezieht sich deshalb auf das Verhältnis zwischen den personellen Ressourcen der staatlichen Gleichstellungsstelle und der Bevölkerungsgröße des jeweiligen Mitgliedstaates. Der Indikator errechnet sich für jeden Mitgliedstaat aus dem Verhältnis der Mitarbeiter*innen je Million Einwohner*innen und beschreibt die Abweichung vom Medianwert (EIGE 2014b: 17).
Indikator 2b: Personelle Ressourcen der bezeichneten Stelle/Stellen für die Förderung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern
Dieser Indikator knüpft an die Richtlinie 2002/73/EG („Gender-Richtlinie“) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 an. Indikator 2b spiegelt das Engagement einer Regierung für die Förderung der Gleichstellung im Sinne der Ressourcenzuweisung für den Schutz und die Förderung der Gleichbehandlung gemäß der Richtlinie wider. Im Blickpunkt steht das Verhältnis zwischen den personellen Ressourcen der bezeichneten Stelle für die Förderung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern und der Bevölkerungsgröße des Mitgliedstaates (EIGE 2014b: 18).
Indikator 3: Gender Mainstreaming
Indikator 3 hat eine enge Verbindung zum zweiten strategischen Ziel von Bereich H der Aktionsplattform – der Einbeziehung einer geschlechtsbezogenen Perspektive in die Rechtsvorschriften sowie in öffentliche Politiken, Programme und Projekte (EIGE 2014b: 19). Regierungen sollten folgende Maßnahmen ergreifen:
- Vor jeder Grundsatzentscheidung sollte eine Analyse ihrer Auswirkungen auf Frauen bzw. Männer erfolgen.
- Einzelstaatliche Politiken, Programme und Projekte und deren Durchführung sollten regelmäßig überprüft werden.
- Einzelstaatliche Strategien und Zielsetzungen in Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sollten gefördert werden, um die sich der Ausübung der Rechte der Frauen entgegenstellenden Hindernisse abzubauen und Diskriminierung zu beseitigen.
- Um die Einbeziehung einer geschlechtsbezogenen Perspektive in alle Rechtsvorschriften und Politiken zu fördern, sollte, wenn möglich, mit Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften zusammengearbeitet werden.
- Alle Ministerien sollten, wenn möglich auf höchstmöglicher Ebene, mit der Überprüfung von Politiken und Programmen aus einer geschlechtsbezogenen Perspektive und im Lichte der Aktionsplattform beauftragt werden. Es sollte eine ressortübergreifende Koordinierungsstruktur etabliert werden, um die erzielten Fortschritte zu überwachen.
Indikator 4: Erstellung und Verbreitung von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Statistiken
Aktuelle und hochwertige, nach Geschlecht aufgeschlüsselte Statistiken sind eine wichtige Voraussetzung für wirksame politische Strategien und Gesetzgebungen im Bereich der Geschlechtergleichstellung. Mit solchen Statistiken können faktengestützte Entscheidungsfindungen gewährleistet und das Ausmaß beurteilt werden, in dem die Ziele und Vorgaben erreicht wurden (EIGE 2014b: 32).
Indikator 4 ist ein nachträglich gefasster Indikator, der mit den Schlussfolgerungen des Rates der EU am 9. Dezember 2013 angenommen wurde. Er beruht auf der Grundlage des dritten strategischen Ziels von Bereich H der Aktionsplattform – der Erstellung und Veröffentlichung von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Daten und Informationen für Planungs- und Bewertungszwecke. Die jeweiligen Maßnahmen sollen nicht nur von Regierungen, sondern auch von nationalen, regionalen und internationalen statistischen Ämtern bzw. Diensten sowie von den zuständigen nationalen und UN-Agenturen in Zusammenarbeit mit Forschungsorganisationen und Dokumentationszentren durchgeführt werden (EIGE 2014b: 32).
Mit Indikator 4 soll gemessen werden, ob Regierungen ihren Verpflichtungen zur Erstellung und Verbreitung von nach Geschlecht aufgeschlüsselten Daten nachkommen. Auch werden die eingesetzten Methoden für die Verbreitung dieser Statistiken ermittelt. Dies bedeutet für Regierungen:
- Es sollten regelmäßig statistische Veröffentlichungen über die Geschlechter sichergestellt werden, welche aktuelle Daten und Informationen über Frauen und Männer in einer für Laien verständlichen Form präsentieren und interpretieren.
- Verfasser*innen und Benutzer*innen von Statistiken sollten die Eignung des amtlichen Statistiksystems und seine Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Themen regelmäßig überprüfen können und, wenn erforderlich, einen Plan für notwendige Verbesserungen ausarbeiten.
- Forschungsorganisationen, Gewerkschaften, Arbeitgeber*innen, der Privatsektor sowie nichtstaatliche Organisationen sollten bei der Erstellung quantitativer und qualitativer Studien über die Verteilung von Macht und Einfluss in der Gesellschaft, einschließlich der Anzahl von Frauen und Männern in Entscheidungspositionen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, unterstützt werden.
- Bei der Ausarbeitung von Politiken und der Durchführung von Programmen und Projekten sollten geschlechtsdifferenzierte Daten verstärkt verwendet werden.
Situation in Deutschland
Die Bundesstiftung Gleichstellung ist ein institutioneller Mechanismus zur Umsetzung von Gleichstellungspolitik hierzulande. Das Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung Gleichstellung trat im Mai 2021 in Kraft.
Die Einrichtung eines solchen Mechanismus war nach Schließung des an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelten GenderKompetenzZentrums (2003 bis 2010) von der Zivilgesellschaft, als Handlungsempfehlungen der Gutachten der Sachverständigenkommission der ersten beiden Gleichstellungsberichte sowie von weiteren Stellen gefordert worden.
Die CEDAW Allianz Deutschland merkte zuletzt an, dass es an einer gesetzlichen Grundlage sowohl für die systematische Umsetzung von Gender Mainstreaming als auch an Strukturen für die Umsetzung sowie am Kompetenzaufbau für die Akteur*innen fehle (CEDAW-Allianz Deutschland 2019: 12). Einer Analyse des Europäischen Parlaments zufolge habe die Bundesregierung keine systematische Gleichstellungspolitik, sondern stütze diese lediglich auf Einzelmaßnahmen, die zum Teil im Widerspruch zueinander stünden (Europäisches Parlament/Fachabteilung Gleichstellung 2015: 10). Auch der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau mahnte 2023 eine bessere Umsetzung der Pekinger Erklärung und der Aktionsplattform an (CEDAW-Ausschuss 2023: 57).
In ihrer Stellungnahme zum 1. Arbeitsbericht 2021-2023 der Bundesstiftung Gleichstellung betont die Bundesregierung, wie wichtig gleichstellungspolitische Institutionen für eine demokratische Gesellschaft sind. In Zeiten multipler Krisen ist die neu aufgebaute Bundesstiftung eine starke Impulsgeberin – gerade angesichts demokratiefeindlicher und antifeministischer Entwicklungen. „Erstmals wurde eine Struktur geschaffen, die sich auf wissenschaftlicher Grundlage insbesondere den Fragen der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmet, um die tatsächliche Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu fördern“ (Bundesregierung 2024: 2).